Sentenza 16 maggio 1995
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT.ERSTER SENAT.
Sentenza 16 maggio 1995.
Henschel (Vicepresidente) – Seidl, Grimm,
Söllner, Kühling, Seibert, Jaeger, Haas
(giudici)**
** Di seguito alla sentenza si pubblica l’opinione dissenziente congiunta del giudice Haas e dei giudici Seidl e Sölner; non quella del solo giudice Haas, che attiene a profili procedurali
Gründe:
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anbringung von Kreuzen oder Kruzifixen in Schulräumen.
I.
1. Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 der Schulordnung für die Volksschulen in Bayern (Volksschulordnung – VSO) vom 21. Juni 1983 (GVB S. 597) ist in den öffentlichen Volksschulen in jedem Klassenzimmer ein Kreuz anzubringen. Die Volksschulordnung ist eine vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus erlassene Rechtsverordnung, die auf einer Ermächtigung im Bayerischen Gesetz über das Erziehungs – und Unterrichtswesen (BayEUG) und im (inzwischen aufgehobenen) Volksschulgesetz (VoSchG) beruht. § 13 Abs. 1 VSO lautet:
«Die Schule unterstützt die Erziehungsberechtigten bei der religiösen Erziehung der Kinder. Schulgebet, Schulgottesdienst und Schulandacht sind Möglichkeiten dieser Unterstützung. In jedem Klassenzimmer ist ein Kreuz anzubringen. Lehrer und Schüler sind verpflichtet, die religiösen Empfindungen aller zu achten».
2. Die Beschwerdeführer zu 3) bis 5) sind die minderjährigen schulpflichtigen Kinder der Beschwerdeführer zu 1) und 2). Letztere sind Anhänger der anthroposophischen Weltanschauung nach der Lehre Rudolf Steiners und erziehen ihre Kinder in diesem Sinne. Seit der Einschulung der ältesten Tochter, der Beschwerdeführerin zu 3), wenden sie sich dagegen, daß in den von ihren Kindern besuchten Schulräumen zunächst Kruzifixe und später teilweise Kreuze ohne Korpus angebracht worden sind. Sie machen geltend, daß durch diese Symbole, insbesondere durch die Darstellung eines «sterbenden männlichen Körpers», im Sinne des Christentums auf ihre Kinder eingewirkt werde; dies laufe ihren Erziehungsvorstellungen, insbesondere ihrer Weltanschauung, zuwider.
(omissis)
3. Im Februar 1991 erhoben die Beschwerdeführer zu 1) und 2) im eigenen Namen und im Namen ihrer Kinder vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen den Freistaat Bayern mit dem Ziel, daß aus sämtlichen von ihren Kindern in Rahmen ihres Schulbesuchs aufgesuchten und noch aufzusuchenden Räumen in öffentlichen Schulen die Kreuze entfernt würden. Zugleich beantragten sie den Erlaß einer einstweiligen Anordnung bis zum Abschluß des Klageverfahrens auf Entfernung von Kruzifixen.
a) Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag ab. (omissis)
b) Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies der Verwaktungsgerichtshof zurück. (omissis)
c) Das Hauptsacheverfahren ist, nachdem das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen hat, in der Berufungsinstanz anhängig.
II.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen die im Eilverfahren ergangenen Beschlüsse, mittelbar gegen § 13 Abs. 1 Satz 3 VSO. Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. (omissis).
III. (omissis)
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. (omissis)
Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG durch die Verweigerung vorläufigen Rechtsschutzes geltend machen, erheben sie eine speziell das Eilverfahren betreffende Grundrechtsrüge. Hinsichtlich der anderen (materiellrechtlichen) Grundrechtsrügen bedarf es keiner weiteren tatsächlichen oder einfachrechtlichen Klärung. Insbesondere haben sich die Fachgerichte in den angegriffenen Entscheidungen umfassend mit den Maßgeblichen Rechtsfragen auseinandergesetzt. Vom Hauptsacheverfahren ist kein zusätzlicher Ertrag zu erwarten. Auch ist es den Beschwerdeführern angesichts der fortschreitenden Zeit und des Fortgangs der Schulausbildung nicht zumutbar, auf den Abschluß des Hauptsacheverfahrens verwiesen zu werden.
Für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde kommt es nicht darauf an, ob die beschwerdeführenden Kinder noch die Volksschule besuchen (vgl. BVerfGE 41, 29 <43>).
C.
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Soweit der Verwaltungsgerichtshof einen Anordnungsgrund verneint hat, verstößt seine Entscheidung gegen Art. 19 Abs. 4 GG (I.). Die Verneinung eines Anordnungsanspruchs ist mit Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbar (II.).
I.
1. Art. 19 Abs. 4 GG eröffnet den Rechtsweg gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt. Gewährleistet wird nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 35, 263, <274>; 35, 382 <401 f.> m.w.N.). Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Daraus folgt, daß gerichtlicher Rechtsschutz namentlich in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können (vgl. BVerfGE 37, 150 <153>; 65, 1 <70>). (Omissis) Gerade Rechtsstreitigkeiten in Schulsachen werden oft nur im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes ausgetragen, weil der Anspruch wegen des Zeitablaufs häufig im Hauptsacheverfahren nicht mehr durchgesetzt werden kann. Dem Bedürfnis nach wirksamem Rechtsschutz dürfen sich die Fachgerichte nicht dadurch entziehen, daß sie überspannte Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes stellen.
II.
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen ferner die Beschwerdeführer zu 1) und 2) in ihren Grundrechten aus Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und die Beschwerdeführer zu 3) bis 5) in ihren Grundrechten aus Art. 4 Abs. 1 GG. Sie beruhen auf § 13 Abs. 1 Satz 3 VSO, der seinerseits mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig ist.
1. Art. 4 Abs. 1 GG schützt die Glaubensfreiheit. Die Entscheidung für oder gegen einen Glauben ist danach Sache des Einzelnen, nicht des Staates. Der Staat darf ihm einen Glauben oder eine Religion weder vorschreiben noch verbieten. Zur Glaubensfreiheit gehört aber nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben, sondern auch die Freiheit, nach den eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben und zu handeln (vgl. BVerfGE 32, 98 <106>). Insbesondere gewährleistet die Glaubensfreiheit die Teilnahme an den kultischen Handlungen, die ein Glaube vorschreibt oder in denen er Ausdruck findet. Dem entspricht umgekehrt die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Diese Freiheit bezieht sich ebenfalls auf die Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstellt. Art. 4 Abs. 1 GG überläßt es dem Einzelnen
zu entscheiden, welche religiösen Symbole er anerkennt und verehrt und welche er ablehnt. Zwar hat er in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Davon zu unterscheiden ist aber eine vom Staat geschaffene Lage, in der der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluß eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist. Insofern entfaltet Art. 4 Abs. 1 GG seine freiheitssicherende Wirkung gerade in Lebensbereichen die nicht der gesellschaftlichen Selbstorganisation überlassen, sondern vom Staat in Vorsorge genommen worden sind (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>). Dem trägt auch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 4 WRV dadurch Rechnung, daß er ausdrücklich verbietet, jemanden zur Teilnahme an religiösen Übungen zu zwingen.
Art. 4 Abs. 1 GG beschränkt sich allerdings nicht darauf, dem Staat eine Einmischung in die Glaubensüberzeugungen, -handlungen und -darStellungen Einzelner oder religiöser Gemeinschaften zu verwehren. Er erlegt ihm vielmehr auch die Pflicht auf, ihnen einen Betätigungsraum zu sichern, in dem sich die Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet entfalten kann (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>), und sie vor Angriffen oder Behinderungen von Anhängern anderer Glaubensrichtungen oder konkurrierender Religionsgruppen zu schützen. Art. 4 Abs. 1 GG verleiht dem Einzelnen und den religiösen Gemeinschaften aber grundsätzlich keinen Anspruch darauf, ihrer Glaubensüberzeugung mit staatlicher Unterstützung Ausdruck zu verleihen. Aus der Glaubensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG folgt im Gegenteil der Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den unterschiedlichen Religionen und Bekenntnissen. Der Staat, in dem Anhänger unterschiedlicher oder gar gegensätzlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen zusammenleben, kann die friedliche Koexistenz nur gewährleisten wenn er selber in Glaubensfragen Neutralität bewahrt. Er darf daher den religiösen Frieden in einer Gesellschaft nicht von sich aus gefährden. Dieses Gebot findet seine Grundlage nicht nur in Art. 4 Abs. 1 GG, sondern auch in Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 1 sowie Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV. Sie verwehren die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagen die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (vgl. BVerfGE 19, 206 <216>; 24, 236 <246>; 33, 23 <28>; st. Rspr.). Auf die zahlenmäßige Stärke oder die soziale Relevanz kommt es dabei nicht an (vgl. BVerfGE 32, 98 <106>). Der Staat hat vielmehr auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions -und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten (vgl. BVerfGE 19, 1 <8>; 19, 206 <216>; 24, 236 <246>). Auch dort, wo er mit ihnen zusammenarbeitet oder sie fördert, darf dies nicht zu einer Identifikation mit bestimmten Religionsgemeinschaften führen (vgl. BVer
fGE 30, 415 <422>).
Im Verein mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder als natürliches Recht garantiert, umfaßt Art. 4 Abs. 1 GG auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltan-
schaulicher Hinsicht. Es ist Sache der Eltern, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Glaubens -und Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten (vgl. BVerfGE 41, 29 <44, 47 f.>). Dem entspricht das Recht, die Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die den Eltern falsch oder schädlich erscheinen.
2. In dieses Grundrecht greifen § 13 Abs. 1 Satz 3 VSO sowie die angegriffenen Entscheidungen, die sich auf diese Vorschrift stützen, ein.
a) § 13 Abs. 1 Satz 3 VSO schreibt die Anbringung von Kreuzen in sämtlichen Klassenzimmern der bayerischen Volksschulen vor. Der Begriff des Kreuzes umfaßt nach der Auslegung durch die Gerichte des Ausgangsverfahrens Kreuze mit und ohne Korpus. In die Nachprüfung der Norm sind daher beide Bedeutungen einzubeziehen. Die Beschwerdeführer haben zwar in ihrem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz dem Wortlaut nach nur die Entfernung von Kruzifixen begehrt. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch ausdrücklich unterstellt, daß damit auch Kreuze ohne Korpus gemeint sein könnten, und den Antrag auch in dieser weitergehenden Bedeutung abgelehnt.
Zusammen mit der allgemeinen Schulpflicht führen Kreuze in Unterrichtsräumen dazu, daß die Schüler während des Unterrichts von Staats wegen und ohne Ausweichmöglichkeit mit diesem Symbol konfrontiert sind und gezwungen werden, «unter dem Kreuz» zu lernen. Dadurch unterscheidet sich die Anbringung von Kreuzen in Klassenzimmern von der im Alltagsleben häufig auftretenden Konfrontation mit religiösen Symbolen der verschiedensten Glaubensrichtungen. Zum einen geht diese nicht vom Staat aus, sondern ist eine Folge der Verbreitung unterschiedlicher Glaubensüberzeugungen und Religionsgemeinschaften in der Gesellschaft. Zum anderen besitzt sie nicht denselben Grad von Unausweichlichkeit. Zwar hat es der Einzelne nicht in der Hand, ob er im Straßenbild, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder beim Betreten von Gebäuden religiösen Symbolen oder Manifestationen begegnet. Es handelt sich in der Regel jedoch um ein flüchtiges Zusammentreffen, und selbst bei längerer Konfrontation beruht diese nicht auf einem notfalls mit Sanktionen durchsetzbaren Zwang.
Nach Dauer und Intensität ist die Wirkung von Kreuzen in Unterrichtsräumen noch größer als diejenige von Kreuzen in Gerichtssälen. Schon in dem Zwang, entgegen den eigenen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen einen Rechtsstreit unter dem Kreuz zu führen, hat das Bundesverfassungsgericht aber einen Eingriff in die Glaubensfreiheit eines jüdischen Prozeßbeteiligten gesehen, der darin eine Identifikation des Staates mit dem christlichen Glauben erblickte (vgl. BVerfGE 35, 366 <375>).
Die Unvermeidbarkeit der Begegnung mit dem Kreuz in Schulräumen wird auch nicht durch die in Art. 7 Abs. 4 GG zugelassene Errichtung privater Schulen beseitigt. Zum einen ist gerade die Errichtung privater Volksschulen in Art. 7 Abs. 5 GG an besonders strenge Voraussetzungen geknüpft. Zum anderen wird, da diese Schulen sich in aller Regel über Schulgeld finanzieren, das von den Eltern aufzubringen ist, einem großen Teil der Bevölkerung die Möglichkeit fehlen, auf solche Schulen auszuweichen. So verhält es sich auch im Fall der Beschwerdeführer.
b) Das Kreuz ist Symbol einer bestimmten religiösen Überzeugung und nicht etwa nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur. (Omissis)
Das Kreuz gehört nach wie vor zu den spezifischen Glaubenssymbolen des Christentums. Es ist geradezu sein Glaubenssymbol schlechthin. (Omissis) Für den Nichtchristen oder den Atheisten wird das Kreuz gerade wegen der Bedeutung, die ihm das Christentum beilegt und die es in der Geschichte gehabt hat, zum sinnbildlichen Ausdruck bestimmter Glaubensüberzeugungen und zum Symbol ihrer missionarischen Ausbreitung. Es wäre eine dem Selbstverständnis des Christentums und der christlichen Kirchen zuwiderlaufende Profanisierung des Kreuzes, wenn man es, (…) als bloßen Ausdruck abendländischer Tradition oder als kultisches Zeichen ohne spezifischen Glaubensbezug ansehen wollte. Der religiöse Bezug des Kreuzes wird auch aus dem Zuaummenhang des § 13 Abs. 1 VSO deutlich.
c) Dem Kreuz kann auch die Einwirkung auf die Schüler nicht abgesprochen werden (…)
Zwar ist es richtig, daß mit der Anbringung des Kreuzes in Klassenzimmern kein Zwang zur Identifikation oder su bestimmten Ehrbezeugungen und Verhaltensweisen einhergeht. Ebensowenig folgt daraus, daß der Sachunterricht in den profanen Fächern von dem Kreuz geprägt oder an den von ihm symbolisierten Glaubenswahrheiten und Verhaltensanforderungen ausgerichtet wird. Darin erschöpfen sich die Einwirkungsmöglichkeiten des Kreuzes aber nicht. Die schulische Erziehung dient nicht nur der Erlernung der grundlegenden Kulturtechniken und der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten. Sie soll auch die emotionalen und affektiven Anlagen der Schüler zur Entfaltung bringen. Das Schulgeschehen ist darauf angelegt, ihre Persönlichkeitsentwicklung umfassend zu fördern und inbesondere auch das Sozialverhalten zu beeinflussen. In diesem Zusummenhang gewinnt das Kreuz im Klassenzimmer seine Bedeutung. Es hat appellativen Charakter und weist die von ihm symbolisierten Glaubensinhalte als vorbildhaft und befolgungswürdig aus. Das geschieht überdies gegenüber Personen, die aufgrund ihrer Jugend in ihren Anschauungen noch nicht gefestigt sind, Kritikvermögen und Ausbildung eigener Standpúnkte erst erlernen sollen und daher einer mentalen Beeinflussung besonders leicht zugänglich sind (egl. BVerfGE 52, 223 <249>). (Omissis)
3. Das Grundrecht der Glaubensfreiheit ist vorbehaltlos gewährleistet. Das bedeutet aber nicht, daß es keinerlei Einschränkungen zugänglich wäre. Diese müssen sich jedoch aus der Verfassung selbst ergeben. Eine Errichtung von Schranken, die nicht bereits in der Verfassung angelegt sind, steht dem Gesetzgeber nicht zu. Verfassungsrechtliche Gründe, die den Eingriff zu rechtfertigen vermöchten, sind hier aber nicht vorhanden.
a) Aus Art. 7 Abs. 1 GG ergibt sich eine solche Rechtfertigung nicht.
Allerding erteilt Art. 7 Abs. 1 GG dem Staat einen Erziehungsauftrag (vgl. BVerfGE 34, 165 <181>). Er hat nicht nur das Schulwesen zu organisieren und selbst Schulen zu errichten, sondern darf auch die Erziehungsziele und Ausbildungsgänge festlegen. Dabei ist er von den Eltern unabhängig (vgl. BVerfGE 34, 165 <182>; 47, 46 <71 f.>). Deswegen können
nicht nur schulische und familiäre Erziehung in Konflikt geraten. Es ist vielmehr auch unvermeidbar, daß in der Schule die unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Schüler und ihrer Eltern besonders intensiv aufeinander treffen.
Dieser Konflikt zwischen verschiedenen Trägern eines vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts sowie zwischen diesem Grundrecht und anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern ist nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu lösen, der fordert, daß nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren (vgl. BVerfGE
28, 243 <260 f.>; 41, 29 <50>; 52, 223 <247, 251>).
Ein solcher Ausgleich verlangt vom Staat nicht, daß er bei der Erfüllung des von Art. 7 Abs. 1 GG erteilten Erziehungsauftrags auf religiös-weltanschauliche Bezüge völlig verzichtet. Auch ein Staat, der die Glaubensfreiheit umfassend gewährleistet und sich damit selber zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichtet, kann die kulturell vermittelten und historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und Einstellungen nicht abstreifen, auf denen der gesellschaftliche Zusammenhalt beruht und von denen auch die Erfüllung seiner eigenen Aufgaben abhängt. Der christliche Glaube und die christlichen Kirchen sind dabei, wie immer man ihr Erbe heute beurteilen mag, von überragender Prägekraft gewesen. Die darauf zurückgehenden Denktraditionen, Sinnerfahrungen und Verhaltensmuster können dem Staat nicht gleichgültig sein. Das gilt in besondern Maß für die Schule, in der die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft vornehmlich tradiert und erneuert werden. Überdies darf der Staat, der die Eltern verpflichtet, ihre Kinder in die staatliche Schule zu schicken, auf die Religionsfreiheit derjenigen Eltern Rücksicht nehmen, die eine religiös geprägte Erziehung wünschen. Das Grundgesetz hat das anerkannt, indem es in Art. 7 Abs. 5 GG staatliche Weltanschauungs- oder Bekenntnisschulen gestattet, Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach vorsieht (Art. 7 Abs. 3 GG) und darüber hinaus Raum für aktive Betätigung der Glàubensüberzeugung läßt (vgl. BVerfGE
41, 29 <49>; 52, 223 <240 f.>).
Allerdings ist es in einer pluralistischen Gesellschaft unmöglich, bei der Gestaltung der öffentlichen Pflichtschule allen Erziehungsvorstellungen voll Rechnung zu tragen. Insbesondere lassen sich die negative und die positive Seite der Religionsfreiheit nicht problemlos in ein und derselben staatlichen Institution verwirklichen. Daraus folgt, daß sich der Einzelne im Rahmen der Schule nicht uneingeschränkt auf Art. 4 Abs. 1 GG berufen kann.
Das unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen negativer und positiver Religionsfreiheit unter Berücksichtigung des Toleranzgebotes zu lösen, obliegt dem Landesgesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozeß einen für alle zumutbaren Kompromiß zu suchen hat. Er kann sich bei seiner Regelung daran orientieren, daß einerseits Art. 7 GG im Bereich des Schulwesens religiös-weltanschauliche Einflüsse zuläßt, andererseits Art. 4 GG gebietet, bei der Entscheidung für eine bestimmte Schulform religiös-weltanschauliche Zwänge so weit wie irgend möglich auszuschalten. Beide Vorschriften sind zusammen zu sehen und in der
Interpretation aufeinander abzustimmen, weil erst die Konkordanz der in den beiden Artikeln geschützten Rechtsgüter der Entscheidung des Grundgesetzes gerecht wird (vgl. BVerfGE 41, 29 <50 f.>).
Das Bundesverfassungsgericht hat daraus den Schluß gezogen, daß dem Landesgesetzgeber die Einführung christlicher Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Volksschulen nicht schlechthin verboten ist, mögen auch Erziehungsberechtigte, die bei der Erziehung ihrer Kinder dieser Schule nicht ausweichen können, keine religiöse Erziehung wünschen. Voraussetzung ist jedoch, daß damit nur das unerläßliche Minimum an Zwangselementen verbunden ist. Das bedeutet insbesondere, daß die Schule ihre Aufgabe im religiös-weltanschaulichen Bereich nicht missionarisch auffassen und keine Verbindlichkeit für christliche Glaubensinhalte beanspruchen darf. Die Bejahung des Christentums bezieht sich insofern auf die Anerkennung des prägenden Kultur- und Bildungsfaktors, nicht auf bestimmte Glaubenswahrheiten. Zum Christentum als Kulturfaktor gehört gerade auch der Gedanke der Toleranz für Andersdenkende. Deren Konfrontation mit einem christlich geprägten Weltbild führt jedenfalls so lange nicht zu einer diskriminierenden Abwertung nichtchristlicher Weltanschauungen, als es nicht um Glaubensvermittlung, sondern um das Bestreben nach Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit im religiös-weltanschaulichen Bereich gemäß der Grundentscheidung des Art. 4 GG geht (vgl. BVerfGE 41, 29 <51 f.>; 41, 65 <85 f.>). Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb die Regelung über die christliche Gemeinschaftsschule in Art. 135 Satz 2 der Bayerischen Verfassung nur aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt (vgl. BVerfGE 41, 65 <66 und 79 ff.>) und in bezug auf die Simultanschule mit christlichem Charakter im überlieferten badischen Sinne betont, daß es sich nicht um eine bikonfessionelle Schule handele (vgl. BVerfGE 41, 29 <62>).
Die Anbringung von Kreuzen in Klassenzimmern überschreitet die danach gezogene Grenze religiös-weltanschaulicher Ausrichtung der Schule. Wie bereits festgestellt, kann das Kreuz nicht seines spezifischen Bezugs auf die Glaubensinhalte des Christentums entkleidet und auf ein allgemeines Zeichen abendländischer Kulturtradition reduziert werden. Es symbolisiert den wesentlichen Kern der christlichen Glaubensüberzeugung, die zwar insbesondere die westliche Welt in vielfacher Weise geformt hat, aber keineswegs von allen Gesellschaftsgliedern geteilt, sondern von vielen in Ausübung ihres Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 GG abgelehnt wird. Seine Anbringung in der staatlichen Pflichtschule ist daher mit Art. 4 Abs. 1 GG unvereinbar, soweit es sich nicht um christliche Bekenntnisschulen handelt.
b) Die Anbringung des Kreuzes rechtfertigt sich auch nicht aus der positiven Glaubensfreiheit der Eltern und Schüler christlichen Glaubens. Die positive Glaubensfreiheit kommt allen Eltern und Schülern gleichermaßen zu, nicht nur den christlichen. Der daraus entstehende Konflikt läßt sich nicht nach dem Mehrheitsprinzip lösen, denn gerade das Grundrecht der Glaubensfreiheit bezweckt in besonderem Maße den Schutz von Minderheiten. Überdies verleiht Art. 4 Abs. 1 GG den Grundrechtsträgern nicht uneingeschränkt einen Anspruch darauf, ihre Glaubensüber-
zeugung im Rahmen staatlicher Institutionen zu betätigen. Soweit die Schule im Einklang mit der Verfassung dafür Raum läßt wie beim Religionsunterricht, beim Schulgebet und anderen religiösen Veranstaltungen, müssen diese vom Prinzip der Freiwilligkeit geprägt sein und Andersdenkenden zumutbare, nicht diskriminierende Ausweichmöglichkeiten lassen. Das ist bei der Anbringung von Kreuzen in Klassenzimmern, deren Präsenz und Anforderung sich der Andersdenkende nicht entziehen kann, nicht der Fall. Schließlich wäre es mit dem Gebot praktischer Konkordanz nicht vereinbar, die Empfindungen Andersdenkender völlig zurückzudrängen, damit die Schüler christlichen Glaubens über den Religionsunterricht und freiwillige Andachten hinaus auch in den profanen Fächern unter dem Symbol ihres Glaubens lernen können.
D.
Danach ist die dem Streitfall zugrunde liegende Vorschrift des 4 13 Abs. 1 Satz 3 VSO mit den genannten Grundrechten unvereinbar und für nichtig zu erklären. Die angegriffenen Entscheidungen des vorläufigen Rechtsschu
tzverfahrens sind aufzuheben. Da das Hauptsacheverfahren inzwischen beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof anhängig ist, wird die Sache an ihn zurückverwiesen (5 95 Abs. BVerfGG). Die Anordnung der Kostenerstattung
beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.
Abweichende Meinung
der Richter Seidl und Söllner und der Richterin Haas zum Beschluß des Ersten Senats vom 16. Mai 1995.
Die Auffassung der Senatsmehrheit, § 13 Abs. 1 Satz 3 der Schulordnung für die Volksschulen in Bayern, wonach in jedem Klassenzimmer ein Kreuz anzubringen ist, verstoße gegen das Grundgesetz, wird von uns nicht geteilt. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Gerichtsentscheidungen verletzen die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten aus Art. 4 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.
I.
1. Nach Art. 7 Abs. 1 GG steht das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates. Die Errichtung und das Betreiben von Volksschulen ist, wie sich aus Art. 7 Abs. 5 GG ergibt, der die Zulassung privater Volksschulen an besonders strenge Voraussetzungen knüpft, grundsätzlich Sache des Staates selbst. Der Staat hat insoweit einen eigenen Erziehungsauftrag und damit auch die Befugnis, Erziehungsziele festzulegen (vgl. BVerfGE 52, 223 <236>).
(Omissis)
2. Die verfassungsrechtliche Beurteilung der mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen muß danach von den Gegebenheiten des Freistaates Bayern ausgehen und darf nicht die Verhältnisse, die in anderen Ländern der Bundesrepublik gegeben sein mögen, zum Ausgangspunkt nehmen. (Omissis)
Für das Volksschulwesen sah Art. 135 BV ursprünglich Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschulen mit einem Vorrang der Bekenntnisschule vor. Aufgrund der schulpolitischen Entwicklung (vgl. hierzu BVerfGE 41, 65 <79 ff.>) wurde diese Verfassungsbestimmung im Wege des Volksentscheids durch das Gesetz zur Änderung des Art. 135 der Verfassung des Freistaates Bayern vom 22. Juli 1968 (GVBI S. 235) geändert. Sie lautet seitdem wie folgt:
Art. 135
Die öffentlichen Volksschulen sind gemeinsame Schulen für alle volksschulpflichtigen Kinder. In ihnen werden die Schüler nach den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse unterrichtet und erzogen. Das Nähere bestimmt das Volksschulgesetz.
In Art. 135 Satz 2 BV n.F. muß das Christentum nicht in einem konfessionellen Sinne verstanden werden. Die Grundsätze der christlichen Bekenntnisse im Sinne dieser Vorschrift umfassen vielmehr die Werte, die den christlichen Bekenntnissen gemeinsam sind, und die ethischen Normen, die daraus abgeleitet werden (vgl. BVerfGE 41, 65
<84>). (Omissis)
3. Den Bundesländern als den Trägern des Volksschulwesens obliegt es gemäß Art. 7 Abs. 1 und 5 GG, die erforderlichen Bestimmungen über die Organisation der Volksschulen zu erlassen. Dem jeweiligen Landesgesetzgeber steht dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Die Regelung des § 13 Abs. 1 Satz 3 der Schulordnung für die Volksschulen in Bayern, wonach in jedem Klassenzimmer ein Kreuz anzubringen ist, überschreitet die Grenzen dieses Spielraums nicht. Da der Landesgesetzgeber in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise den Schultyp der christlichen Gemeinschaftsschule einführen darf, kann es ihm nicht verwehrt sein, die Wertvorstellungen, die diesen Schultyp prägen, in den Unterrichtsräumen durch das Kreuz zu symbolisieren.
(Omissis)
4. Durch das Anbringen von Kreuzen in Unterrichtsräumen wird die Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität nicht verletzt. Unter der Geltung des Grundgesetzes darf das Gebot der weltanschaulich-religiösen Neutralität nicht als eine Verpflichtung des Staates zur Indifferenz oder zum Laizismus verstanden werden. Durch die Verweisung auf die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung in Art. 140 GG ist das Neutralitätsgebot im Sinne einer Zusammenarbeit des Staates mit den Kirchen und Religionsgesellschaften, die auch deren Förderung durch den Staat einschließt, ausgestaltet worden.
In den Entscheidungen über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit christlicher Gemeinschaftsschulen hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Neutralitätsgebot ausgesprochen, daß die Schule, soweit sie auf die Glaubens- und Gewissensentscheidungen der Kinder Einfluß nehmen kann, nur das Minimum an Zwangselementen enthalten darf. Ferner darf sie keine missionarische Schule sein und keine Verbindlichkeit christlicher Glaubensinhalte beanspruchen; sie muß auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein (vgl. BVerfGE 41, 29 <51>; 41, 65 <78>).
Die von der Senatsmehrheit für verfassungswidrig gehaltene Regelung des § 13 Abs. 1 Satz 3 der bayerischen Schulordnung für die Volksschulen genügt allen diesen Erfordernissen: Das bloße Vorhandensein eines Kreuzes im Klassenzimmer zwingt die Schüler nicht zu besonderen Verhaltensweisen und macht die Schule nicht zu einer missionarischen Veranstaltung. Das Kreuz verändert auch den Charakter der christlichen Gemeinschaftsschule nicht, sondern ist als ein den christlichen Konfessionen gemeinsames Symbol in besonderer Weise geeignet, als Sinnbild für die verfassungsrechtlich zulässigen Bildungsinhalte dieser Schulform zu dienen. Das Anbringen eines Kreuzes im Klassenzimmer schließt die Berücksichtigung anderer weltanschaulich-religiöser Inhalte und Werte im Unterricht nicht aus. Die Gestaltung des Unterrichts unterliegt
zudem dem Gebot des Art. 136 Abs. 1 BV, wonach an allen Schulen die religiösen Empfindungen aller zu achten sind.
II.
Entgegen der Auffassung der Senatsmehrheit werden die Beschwerdeführer durch das Vorhandensein von Kreuzen in den Unterrichtsräumen nicht in ihrer Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG und Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) verletzt.
1. Mit der Schulpflicht und der Übernahme des Volksschulwesens in seine eigene Verantwortung hat der Staat einen für die Erziehung der Jugend maßgeblichen Lebensbereich voll in seine Obhut genommen. Das hat zur Folge, daß er hier Raum geben muß für die Entfaltung der Freiheitsrechte. Diese können zwar im Hinblick auf den legitimen Zweck der Einrichtung – hier der Schule – eingeschränkt, aber nicht aufgehoben werden. Die öffentliche Schule, die der Staat seiner organisatorischen und weitgehend auch inhaltlichen Gestaltung unterstellt hat, ist ein Lebensbereich, in dem sich staatliches Handeln und bürgerliche Freiheit begegnen. In einem solchen Bereich darf der Staat auch durch das Bereithalten sinnfälliger Wertsymbole, die in dem betreffenden Bundesland verbreiteter Übung entsprechen, einen organisatorischen Rahmen schaffen, in dem sich zugleich die bei einem großen Teil der Schüler und ihrer Eltern vorhandenen religiösen Uberzeugungen entfalten können (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, NVwZ 1994, S. 597). Dagegen fällt die Ausstattung von Gerichtssälen mit Kreuzen, die das Grundrecht eines Proseßbeteiligten aus Art. 4 Abs. 1 GG verletzen kann (vgl. BVerfGE 35, 366), in den Bereich ursprünglicher staatlicher Hoheitsfunktionen und unterliegt daher anderen verfassungsrechtlichen Bindungen als die Anbringung von Kreuzen in den Klassenräumen staatlicher Schulen (vgl. im einzelnen Böckenförde, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 20. Band <1975>, S. 119 <127 f., 134>).
Die Bekenntnisfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG wird, was von der Senatsmehrheit überhaupt nicht in den Blick genommen wird, durch die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung in Art. 4 Abs. 2 GG noch verstärkt und hervorgehoben (vgl. BVerfGE 24, 236 <245 f.>). Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sichern gemeinsam dem Einzelnen einen Raum für die aktive Betätigung seiner Glaubensüberzeugung. Ist danach ein freiwilliges, überkonfessionelles Schulgebet grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfGE 52, 223), so gilt das in gleicher Weise für das Kreuz im Klassenzimmer. Der Staat gibt damit der positiven Bekenntnisfreiheit Raum in einem Bereich, den er ganz in seine Vorsorge genommen hat und in welchem religiöse und weltanschauliche Einstellungen von jeher relevant waren (vgl. BVerfGE 41, 29 <49>; 52, 223 <241>).
2. In die Religionsfreiheit der Beschwerdeführer wird damit nicht eingegriffen.
a) Die Beschwerdeführer berufen sich nicht auf die Religionsausübungfreiheit nach Art. 4 Abs. 2 GG. Sie machen auch keine Verletzung ihrer aus Art. 4 Abs. 1 GG folgenden positiven Bekenntnisfreiheit geltend, sondern rügen allein eine Verletzung ihrer – ebenfalls durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützten – negativen Religionsfreiheit. Denn sie verlangen nicht die Anbringung eines Symbols ihrer eigenen Weltanschauung im Klassenzimmer neben dem Kreuz oder an dessen Stelle, sondern allein die Entfernung von Kruzifixen, die sie als Symbole einer von ihnen nicht geteilten religiösen Überzeugung betrachten und nicht dulden wollen. In dem Beschluß vom 5. November 1991 (BVerfGE 85, 94), mit dem der Antrag der Beschwerdeführer auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen worden war, hatte der Senat die verfassungsrechtliche Frage – treffender als jetzt in der Hauptsacheentscheidung – wie folgt formuliert: «ob und unter welchen Umständen die Verwendung religiöser Symbole in einer Schule die negative Religionsfreiheit berührt und inwieweit sie von der Minderheit hinzunehmen ist, weil sie der positiven Religionsfreiheit der Mehrheit Rechnung tragen soll» (BVerfG, a.a.O., S. 96).
Freilich handelt es sich nicht um ein Problem des Verhältnisses von Mehrheit und Minderheit, sondern darum, wie im Bereich der staatlichen Pflichtschule positive und negative Religionsfreiheit der Schüler und ihrer Eltern allgemein in Übereinstimmung gebracht werden können. Dieses im Bereich des Schulwesens unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen negativer und positiver Religionsfreiheit zu lösen, obliegt dem demokratischen Landesgesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozeß unter Berücksichtigung der verschiedenen Auffassungen einen für alle zumutbaren Kompromiß zu suchen hat (vgl. BVerfGE 41, 29 <50>, 52, 223 <247>). Dabei ist die negative Religionsfreiheit kein Obergrundrecht, das die positiven Äußerungen der Religionsfreiheit im Falle des Zusammentreffens verdrängt. Das Recht der Religionsfreiheit ist kein Recht zur Verhinderung von Religion. Der notwendige Ausgleich zwischen beiden Erscheinungsformen der Religionsfreiheit muß im Wege der Toleranz bewerkstelligt werden (vgl. Schlaich, in: Kirche und Staat in der neueren Entwicklung, 1980, S. 427 <439>; Starck, in: v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2 Rdnr. 17 m.w.N.).
b) Diesen Grundsätzen ist der bayerische Landesgesetzgeber mit dem Erlaß des § 13 Abs. 1 Satz 3 der Volksschulordnung gerecht geworden. Die gebotene Abwägung mit den Belangen von Nicht- und Andersgläubigen läßt einen Verfassungsverstoß nicht erkennen.
aa) Bei der Einschätzung und Bewertung dieser Belange kann man nicht, wie es die Senatsmehrheit tut, generell die christlich-theologische Auffassung von Bedeutung und Sinngehalt des Kreuzessymbols zugrunde legen. Entscheidend ist vielmehr, welche Wirkung der Anblick des Kreuzes bei den einzelnen Schülern entfaltet, insbesondere welche Empfindungen der Anblick des Kreuzes bei Andersdenkenden auslösen kann (vgl. dazu auch BVerfGE 35, 366 <375 f.>). Es mag sein, daß in einem Schüler christlichen Glaubens beim Anblick des Kreuzes im Klassenzimmer teilweise diejenigen Vorstellungen erweckt werden, die von der Senatsmehrheit als Sinnegehalt des Kreuzes (unter C 11 2 b der Gründe) geschildert werden. Für den nichtgläubigen Schüler hingegen kann das nicht angenommen werden. Aus seiner Sicht kann das Kreuz im Klassenzimmer nicht die Bedeutung eines Symbols für christliche Glaubensinhalte haben, sondern nur die eines Sinnbilds für die Zielsetzung der christlichen Gemeinschaftsschule, nämlich für die Vermittlung der Werte der christlich geprägten abendländischen Kultur, und daneben noch die eines Symbols einer von ihm nicht geteilten, abgelehnten und vielleicht bekämpften religiösen Uberzeugung.
bb) Angesichts dieses Sinngehalts, den ‘das Kreuz im Klassenzimmer für nichtchristliche Schüler hat, haben sie und ihre Eltern das Vorhandensein der Kreuze hinzunehmen. Dazu verpflichtet sie das Toleranzgebot. Unsumutbare Belastungen entstehen ihnen dadurch nicht.
Die psychische Beeinträchtigung und mentale Belastung, die nichtchristliche Schüler durch die zwangsläufige Wahrnehmung des Kreuzes im Unterricht zu erdulden haben, hat nur ein verhältnismäßig geringes Gewicht. Das Minimum an Zwangselementen, das in dieser Beziehung von den Schülern und ihren Eltern zu akzeptieren ist (vgl. BVerfGE 41, 29 <51>), wird nicht überschritten. Die Schüler sind nicht zu besonderen Verhaltensweisen oder religiösen Übungen vor dem Kreuz verpflichtet. Sie sind daher – anders als beim Schulgebet (vgl. BVerfGE 52, 223 <245 ff.>) – nicht gezwungen, durch Nichtteilnahme ihre abweichende weltanschaulich- religiöse Überzeugung kundzutun. Die Gefahr ihrer Diskriminierung besteht daher von vornherein nicht.
Die Schüler werden durch das Kreuz im Klassenzimmer auch nicht in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise (vgl. BVerfGE 41, 29 <51>) missionarisch beeinflußt. Ein unmittelbarer Einfluß auf Lehrinhalte und Erziehungsziele im Sinne einer Propagierung christlicher Glaubensinhalte geht von dem Kreuz im Klassenzimmer nicht aus. Im übrigen ist auch insoweit von den besonderen Verhältnissen in Bayern auszugehen. Der Schüler wird dort – auch außerhalb des engeren kirchlichen Bereichs – in vielen anderen Lebensbereichen tagtäglich mit dem Anblick von Kreuzen konfrontiert. Beispielhaft seine nur erwähnt die in Bayern häufig anzutreffenden Wegekreuze, die vielen Kreuze
Autore:
Corte Costituzionale
Dossier:
Crocifisso
Nazione:
Germania
Parole chiave:
Istruzione, Crocifisso, Aule scolastiche, Scuole statali, Prescrizioni, Affissione obbligatoria, Ricorso amministrativo, Urgenza, Disconoscimento immotivato
Natura:
Sentenza